Studienarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nationalsozialismus, II. Weltkrieg, Note: sehr gut, Universität Bremen (Geschichte), Sprache: Deutsch, Abstract: Es verging viel Zeit, bis sich die Zunft der deutschen Historiker öffentlich eingehender mit ihrer jüngsten Vergangenheit zu beschäftigen begann. Genauer gesagt dauerte es 53 Jahre, bis auf dem 42. deutschen Historikertag, der vom 8. bis zum 11. September 1998 in Frankfurt abgehalten wurde, erstmals offen und kontrovers über die mittelbare oder unmittelbare Beteiligung deutscher Geschichtswissenschaftler an der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik diskutiert wurde.1 'Schließlich hatten an der imperialistischen Theorie des Nazismus zahllose Historiker mitgearbeitet und zuvor oder gleichzeitig definiert, wo deutscher 'Volksboden' und Lebensraum zu finden, wer minderwertig oder höherwertig sei.'2 Dabei konzentrierten sich die Konferenzteilnehmer nicht nur auf jene Geschichtswissenschaftler, die im Zuge der Entnazifizierungen aus öffentlichen Ämtern suspendiert worden waren,3 sondern speziell auf diejenigen, die nach 1945 das bundesrepublikanische Bild der Geschichtswissenschaft entscheidend mitgeprägt hatten. Theodor Schieder ist dabei nur ein Beispiel für die Kontinuitäten im geschichtswissenschaftlichen Betrieb nach 1945. Er war nach Aussage eines seiner ehemaligen Studenten, 'in den fünfundzwanzig Jahren vor seinem Tod 1984 die einflußreichste Persönlichkeit in der westdeutschen Geschichtswissenschaft'4 und verdient daher besondere Aufmerksamkeit. Der späte Zeitpunkt, an dem die Debatte über die braune Vergangenheit deutscher Historiker aufkam und eine breitere Öffentlichkeit erreichte, ist auch insofern interessant, weil Angelika Ebbinghaus und Karl-Heinz Roth bereits 1992 ein bevölkerungspolitisches Geheimgutachten Schieders - die sogenannte Polendenkschrift - vom September 1939 editierten.5 Die deutsche Historikerschaft, unter ihnen nicht wenige Schüler Schieders, wie z.B. Hans Ulrich Wehler, ignorierten diese Funde jahrelang - bis zum besagten Historikertag in Frankfurt. Die von Roth und Ebbinghaus erforschten Quellen zeichnen ein neues Bild vom Vater der Sozialgeschichte in der BRD: Schieder hatte sich während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland besonders für den vor 1918 ehemals deutschen Osten interessiert und war auf dem Gebiet revisionistisch orientierter 'Ostforschung' einer der vielversprechensten Nachwuchsakademiker [...]
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