Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie
Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie
By Rene Descartes
8 Oct, 2019
Schon vor Jahren bemerkte ich, wie viel Falsches ich von Jugend auf als wahr hingenommen habe, und wie zweifelhaft alles sei, was ich später darauf gründete; darum war ich der Meinung, ich müsse einmal im Leben von Grund auf alles umstürzen und g
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Schon vor Jahren bemerkte ich, wie viel Falsches ich von Jugend auf als wahr hingenommen habe, und wie zweifelhaft alles sei, was ich später darauf gründete; darum war ich der Meinung, ich müsse einmal im Leben von Grund auf alles umstürzen und ganz von vorne anfangen, wenn ich je irgend etwas Festes und Bleibendes in den Wissenschaften aufstellen wolle. Dies schien mir aber eine ungeheure Aufgabe zu sein, und so wartete ich jenes reife, für wissenschaftliche Untersuchungen angemessenste Alter ab.
Darum habe ich so lange gezögert, daß ich jetzt eine Schuld auf mich laden würde, wenn ich die Zeit, die mir zum Handeln noch übrig ist, mit Zaudern verbringen wollte.
Das trifft sich nun sehr günstig. Mein Geist ist von allen Sorgen frei, und ich habe mir eine ruhige Muße verschafft. So ziehe ich mich in die Einsamkeit zurück und will ernst und frei diesen allgemeinen Umsturz aller meiner Meinungen unternehmen.
Dazu wird es indessen nicht nötig sein, daß ich von allen die Falschheit nachweise; dies könnte ich vielleicht niemals erreichen! Vielmehr rät uns schon die Vernunft, bei Ansichten, die nicht durchaus gewiß und unzweifelhaft sind, uns ebenso sorgfältig der Zustimmung zu enthalten, als bei solchen, die ganz sicher falsch sind, und so wird es, um alle von uns abzuweisen, genügen, daß ich in jeder einzelnen einen Grund zum Zweifeln finde. Auch braucht man sie darum nicht einzeln durchzugehen; das wäre eine endlose Arbeit! Vielmehr werde ich – da ja bei Untergrabung der Fundamente alles, was darauf gebaut ist, von selbst zusammenstürzt – sogleich die Grundlagen selbst angreifen, auf die alles sich stützte, was ich früher für wahr hielt.
Alles nämlich, was ich bis heute für das Allerwahrste hingenommen habe, empfing ich unmittelbar oder mittelbar von den Sinnen; diese aber habe ich bisweilen auf Täuschungen ertappt, und es ist eine Klugheitsregel, niemals denen volles Vertrauen zu schenken, die uns auch nur ein einziges Mal getäuscht haben. Less